Neuromorphe KI mit hoher Energieeffizienz - von der Forschung in die Gesellschaft
In dem sehr dynamischen Forschungsfeld des neuromorphen Computings (NC) treffen Gebiete der Grundlagenforschung verschiedener Disziplinen (Physik, Materialwissenschaften, Neurowissenschaften, Informatik, Elektrotechnik) aufeinander. Die Neuromorphic Computing Technologie orientiert sich in verschiedener Weise an den Funktionsprinzipien und der Leistungsfähigkeit des Gehirns. Ziel ist es, die um Größenordnungen höhere Energieeffizienz des Gehirns anzustreben. Hierin sehen wir den Hauptnutzen des neuromorphen Computings für die Gesellschaft: Ressourcenschonende KI mit hoher Energieeffizienz.
Das Thema Neuromorphes Computing zeigt viele Facetten und wird immer von der jeweiligen Disziplin aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet. Die Informatik sieht NC z.B. als eine Erweiterung des Machine Learning mit der Möglichkeit bestimmte Algorithmen weit in die Hardware zu verlegen - sei sie nun analog oder digital. Schaltungsdesigner:innen erkennen die Möglichkeiten neuer Bauteile und Funktionsblöcke, die sich als nichtflüchtige Speicher oder künstliche Synapsen zu ganz neuen Architekturen zusammen stellen lassen - bis hin zu Systemen, die nicht mehr nach dem von-Neumann Computerprinzip funktionieren, sondern direkt im Speicher rechnen. Noch näher an ihrem Vorbild Gehirn orientieren sich Rechnersysteme, die wie künstliche neuronale Netze funktionieren, deren Neuronen in der Hardware miteinander verknüpft sind.
Künstliche Synapsen mit einstellbaren sogenannten synaptischen Gewichten stellen die Verbindung zwischen den Neuronen her. Lernen bedeutet dann nichts anderes als diese Gewichte der Synapsen zu verändern, bis das Ergebnis (hinreichend gut) stimmt. Bevor sie vernetzt werden, müssen die neuartigen elektronischen Bauteile geeignet in die Gesamtelektronik integriert werden. Auch das Bauteil selbst will erst einmal physikalisch verstanden werden. Dazu wird es elektrisch umfassend charakterisiert und sein Verhalten wird modelliert, damit es in großen Schaltplänen zunächst simuliert werden kann. Die Idealvorstellung der Ingenieur:innen wäre hier eine prädiktives Modell, das die Eigenschaften bei Änderungen von Materialparametern vorhersagt.
Im Mittelpunkt der Materialforschung und Bauteilentwicklung steht seit einigen Jahren das memristive Bauteil - zunehmend in seiner analogen Variante, als die es mehr Information speichern kann als ein Bit. Das memristive Bauteil kann als Eintrag eines Zahlenwertes in einer Matrix funktionieren oder eben auch als synaptisches Gewicht zwischen Neuronen. Dazu hat es seine Haupteigenschaft, einen einstellbaren elektrischen Widerstandswert, der sich auch im Zustand der Stromlosigkeit nicht von selbst ändert, also gespeichert bleibt.
Die Abscheidung der Materialschichten der memristiven Bauteile - auch ganz neuer funktioneller Materialsysteme - ist eine Herausforderung für die Materialforschung, insbesondere wenn es auf Silizium Wafern geschieht, die winzig kleine Nanometerstrukturen aufweisen, unter denen sich die vielen Transistorfunktionen verbergen. Hierzu wird Hochtechnologie Infrastruktur benötigt mit verschiedenen Abscheideanlagen und komplexen Strukturierungsprozessen. In den Fokus des Interesses der Forschenden rücken auch die aufkommenden 2D Materialien mit ihren teils überraschenden Eigenschaften.
Der Fokus unserer Forschung ist die Demonstration einer energieeffizienten neuromorphen KI in einem System aus Softwareumgebung mit digitaler und analoger Hardware.
Anwendungen dieser NC-Technologie-Forschung - im Sinne von neuen Produkten und Dienstleistungen - lassen sich entlang ihrer Größe und ihres Einsatzbereichs systematisieren. Sie reichen vom Edge-Computing am Handgelenk bis hin zum Modul innerhalb von Großrechenanlagen wie den Jülicher Supercomputern. Den sicherlich wirtschaftlich wichtigen Bereich autonomer Systeme auf Basis von neuromorpher KI erforscht der ZukunftsCluster NeuroSys mit seinen zahlreichen Projekten. Tatsächlich rechnen Marktbeobachtende mit einem wachsenden Markt ab 2026 (Yole Reports 2021). Immer mehr Hersteller und vor allem Start-ups bieten neben den nichtflüchtigen Speicheranwendungen auch Möglichkeiten an, neuromorphe KI Chips zu entwerfen und in Pilotserien zu fertigen. In Zukunft werden Ihnen also vielleicht neuromorphe Chips in ihren Geräten begegnen. Sie werden es am geringeren Energieverbrauch merken.
Lesen Sie mehr zu verschieden Aspekten des Neuromorphen Computing auf den Seiten des PGI-14 Neuromorphic Computing Nodes (in Englisch)
Eine Beschreibung der Materialforschung für memristive neuromorphe Bauelemente finden Sie auf den Seiten des Electronic Material Research Laboratory (EMRL) (in Englisch)
Eine Einführung und einen Einblick in die Labore gibt das Video aus der Strukturwandel VLOG Serie: "Unser Gehirn und die Computer der Zukunft"
Ausführlicher führt Herr Prof. Rainer Waser in diesem Video in das Thema der neuroinspirierten Elektronik ein: